
Neubau schafft Raum für Zukunft
Im Interview geben der Bereichsleiter für den Neubau, Carsten Jasper, und der Bereichsleiter für das Portfoliomanagement, Bastian Brusinski, einen Überblick über das Neubaugeschehen bei VIVAWEST und diskutieren über die Herausforderungen und Chancen des Wohnungsneubaus.

Warum ist der Neubau für VIVAWEST so wichtig? Wie hat sich das Wohnen verändert?
Carsten Jasper: Neubau ist für uns in vielerlei Hinsicht wichtig. In erster Linie verbessern wir damit die Qualitäten unseres Wohnungsbestands. Darüber hinaus können wir über Neubauprojekte andere Standorte für uns erschließen und Zielgruppen ansprechen, die wir mit unseren älteren Bestandswohnungen so nicht erreichen können. Der Neubau ist aber auch wichtig für die Weiterentwicklung unserer bestehenden Quartiere, wie zum Beispiel in unserem Modellquartier Bergmannsgrün in Dortmund-Huckarde. Und natürlich gehört es zur DNA von VIVAWEST, bezahlbaren Wohnraum anzubieten, weshalb in fast jedem Neubauprojekt ein Teil der Wohnungen mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung finanziert wird.
„Es gehört zur VIVAWEST-DNA, bezahlbaren Wohnraum anzubieten.“
Das Wohnen selbst hat sich im Laufe der Zeit eigentlich gar nicht so geändert. Was sich verändert hat, sind die Ansprüche, die an das Wohnen gestellt werden. In den 1960er Jahren haben sich die Menschen mit der Hälfte des Wohnraums zufriedengegeben, den heute jeder für sich beansprucht. Es war normal, dass Räume mehrfach genutzt wurden, als Arbeits- und Wohnraum, ein Kinderzimmer, das sich mehrere Kinder geteilt haben. Das ist heute so nicht mehr üblich. Trotzdem lassen sich Wohnungen aus den 1960er Jahren auch heute noch gut vermieten, aber nicht mehr an die gleichen Haushaltstypen. Eine Familie mit drei Kindern wird heute nicht mehr eine Dreiraumwohnung mit einer Fläche von 60 Quadratmetern akzeptieren, in diesen Wohnungen leben heute Single- oder Paarhaushalte.
Hinzu kommt natürlich, dass sich die gesetzlichen Anforderungen an das Bauen im Laufe der Jahre stark verändert haben. Heute gibt es rund 20.000 Bauvorschriften, die festlegen, wie gebaut werden muss, in Bezug auf Schallschutz, Brandschutz, energetische Standards, Barrierefreiheit und vieles mehr.
Welche Bedeutung hat der Neubau aus Portfoliosicht?
Bastian Brusinski: Der Neubau ist ein integraler Baustein unserer Strategie des qualitativen Wachstums. Im Rahmen des Portfoliomanagements analysieren wir kontinuierlich unsere Wohnungsbestände und Quartiere im Hinblick auf ihre Zukunftsfähigkeit. Auf Basis dieser Analysen treffen wir unsere Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen. Ziele sind die konsequente Weiterentwicklung des Portfolios sowie der Ausbau der Marktposition in attraktiven Zukunftsmärkten.
Seit dem Start von VIVAWEST haben wir im Rahmen unseres Geschäftsmodells rund 20.000 Wohnungen verkauft, das heißt, jede sechste Wohnung hat in dieser Zeit unseren Bestand verlassen. Wir haben rund 15.000 Wohnungen modernisiert und über 7.000 Wohnungen neu gebaut. Und schließlich haben wir über Erwerbe von Gebrauchtimmobilien rund 8.000 Wohnungen in attraktiven Märkten mit gutem Entwicklungspotenzial hinzugewonnen. Aktuell verfolgen wir Bestandserwerbe opportunitätsgetrieben. Die angekauften Bestandsimmobilien befinden sich zwar in einem guten Zustand, dennoch sind meist noch wesentliche Schritte zur Dekarbonisierung und zu mehr energetischer Effizienz erforderlich.

„Der Neubau trägt dazu bei, bis 2045 einen klimaneutralen Wohnungsbestand zu haben“
Der Wohnungsneubau ist damit neben der Modernisierung der zentrale Baustein zur Erreichung unserer Zielstruktur, eines modernen und zukunftsfähigen Wohnungsbestands, der die soziodemografischen Megatrends der Individualisierung, Singularisierung und Seniorisierung aufgreift. Zudem trägt der Neubau maßgeblich dazu bei, bis zum Jahr 2045 einen klimaneutralen Wohnungsbestand zu haben.
Die Umsetzung der Neubauprojekte findet bei VIVAWEST auf verschiedenen Ebenen statt. Auf eigenen Grundstücken, in der Regel in unseren eigenen Quartieren, realisieren wir meist kleinteilige Wohnprojekte. In letzter Zeit haben wir dort sehr erfolgreich unsere selbst entwickelten Mieteinfamilienhäuser vermarktet. Größere Neubauprojekte haben wir häufig über den Erwerb schlüsselfertiger Projekte, sogenannte Foreward Deals, realisiert. Seit dem Ende der Corona-Krise ist deren Anteil allerdings rückläufig. Aufgrund der stark gestiegenen Baukosten und hoher Zinsen ist vielen Projektentwicklern das Risiko für eigene Entwicklungen zu groß geworden ist. Seitdem werden uns vermehrt Grundstücke angeboten, die wir im Falle eines Erwerbs selbst entwickeln.

Immer wieder konnte man lesen, dass die Baukosten in den letzten Jahren so stark gestiegen sind. Wie geht VIVAWEST damit um bzw. wie gelingt es trotzdem zu bezahlbaren Mietpreisen Wohnungsneubau zu betreiben?
Jasper: Natürlich spüren auch wir den enormen Anstieg der Baukosten. In der Nach-Corona Zeit konnten wir in einzelnen Baugruppen einen Anstieg der Preise von über 20 Prozent beobachten; so etwas habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht gesehen.
Der Anstieg der Baukosten betrifft aber nicht nur den Neubau, wir sehen das auch bei unseren Modernisierungsprojekten; bei einer 1950er Jahre Siedlung können das heute schon einmal bis zu 2.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche werden, wenn man bspw. auch einen Energieträgerwechsel vornimmt. Da ist der Abstand zu den Neubaukosten gar nicht mehr so groß.
Brusinski: Gleichzeitig können wir nach einer solchen Modernisierung die Mieten oftmals nur um maximal 2 Euro pro Quadratmeter anheben, was die Wirtschaftlichkeit stark einschränkt. Und, es bleiben auch nach einer Modernisierung immer noch Gebrauchtimmobilien, bei denen abzusehen ist, dass in 20 Jahren weitere Investitionen erforderlich werden. Deshalb gehen wir bei unseren Bestandsobjekten mittlerweile auch immer mehr dazu über, sogenannte strategische Großinstandhaltungen durchzuführen. Wir wägen in unseren Quartieren im Einzelfall ab, welches Maß richtig und notwendig ist.



Jasper: Generell ist es im Wohnungsneubau wichtig, dass man strategische Partner hat, auf die man sich verlassen kann. Wir haben solche Partner und haben mit ihnen große Fortschritte erzielt, die Kostensicherheit bei unseren Projekten zu erhöhen. Mit neuen Anbietern ist das Bauen sehr viel schwieriger und teurer. Sie können ihren Auftraggeber noch nicht richtig einschätzen, wissen nicht, wie häufig Planungsänderungen vorgenommen und ob später Nachforderungen gestellt werden, und bauen entsprechende Angstzuschläge in ihre Kalkulationen ein.
Mit unseren bestehenden Partnern haben wir das Vertragsverhältnis entschlackt, die Planung vereinfacht und in den Objekten das Verhältnis von Grundfläche zu Wohnfläche optimiert. Auch mit dem wiederholten, seriellen Bauen und der Verwendung modularer Komponenten sind wir weiter vorangekommen, insbesondere bei unseren kleinteiligeren Projekten auf eigenen Grundstücken. Ob wir künftig auch auf Standards verzichten werden, wie bei dem in der Diskussion befindlichen Gebäudetyp E vorgeschlagen, da sind wir derzeit noch zurückhaltend.
Auf vielen Veranstaltungen wie Messen wird uns immer wieder deutlich, wie wichtig es ist, dass wir weiter gebaut und unseren großen Stamm strategischer Partner gehalten haben. Viele Neubauprojekte, auch an der Rheinschiene haben wir nur deshalb bekommen, weil wir dabeigeblieben sind. Auch größere Entwicklungen, die uns angeboten werden, prüfen wir eingehend, sind da aber eher zurückhaltend. Auch das zeichnet uns aus: Wir setzen nicht alles auf eine Karte.
Nach dem starken Anstieg der Zinsen im Jahr 2022 hat VIVAWEST angekündigt, deutlich weniger Neubau zu betreiben. Derzeit befinden sich aber fast 2.000 Wohnungen im Bau. Wie passt das zusammen?
Brusinski: Der plötzliche und starke Anstieg der Zinsen in den letzten Jahren hat bestandshaltende Wohnungsunternehmen stark getroffen, weil Wohnungen traditionell zu einem hohen Prozentsatz fremdfinanziert werden. In einer solchen Situation ist es das oberste Ziel, die finanzielle Stabilität des Unternehmens zu wahren.
Weil viele Investoren aus geplanten Projekten abgesprungen sind, ist es uns gelungen, einige sehr attraktive Projekte zu akquirieren. Diese Opportunitäten bekommt man nur, wenn man am Ball bleibt und in der Branche als verlässlicher Partner bekannt ist. Daher befinden sich aktuell bei VIVAWEST mit knapp 2.000 Wohnungen und einem Investitionsvolumen von rund 850 Millionen Euro mehr Wohnungen im Bau, als wir ursprünglich vorgesehen hatten. Im Jahr 2025 kommen weitere Baubeginne für 1.400 Wohnungen und einem Investitionsvolumen von 625 Millionen Euro dazu. Es sind Projekte mit mehrjährigen Investments, so dass wir unsere jährlichen Investitionsbudgets damit nicht überstrapazieren.



Renderings: VIVAWEST; Fotos: Dirk Bannert; Illustrationen: Tobias Wanders / Die Illustratoren