Der Himmel über der Dortmunder Nordstadt ist grau. Dicke Regentropfen klatschen auf den Boden, der bereits von herabgefallenen Blättern angrenzender Bäume bedeckt ist. Am Borsigplatz haben sich die Menschen tief in ihre Jacken oder Kapuzenpullis vergraben.
Ab und zu durchbricht der Lärm einer Straßenbahn die heute sonst geräuscharme Kulisse. Zwei Jugendliche stehen im Lichtkegel eines der vielen Läden, die den Borsigplatz säumen. Sie geben sich zur Begrüßung die Faust: „Was geht?“, fragt einer der beiden. „Muss ja“, fällt die Antwort kurz aus. Ein typischer Herbsttag in der Nordstadt.
Soziale Arbeit leisten
Nur wenige Meter vom Borsigplatz entfernt liegt an der Oesterholzstraße 44 bis 54 der Max-Michallek- Platz. Hier trainieren Kinder und Jugendliche ihre Fußballfähigkeiten im Rahmen der Nordstadtliga. Das ist ein soziales Projekt, das VIVAWEST und die Vivawest Stiftung gemeinsam mit Borussia Dortmund als Partner unterstützen.
Der moderne Soccer-Court, der für das Training genutzt wird, befindet sich in einem Innenhof, umgeben von modernisierten VIVAWEST-Wohngebäuden. Errichtet wurde er in Zusammenarbeit von VIVAWEST und dem BVB im Jahr 2021 im Zuge der umfangreichen Sanierung von „Borsig-West“. Ein Denkmal am Rande des Fußballplatzes erinnert an den Spieler Max Michallek (1922–85), der in der Oesterholzstraße aufgewachsen ist. An einer der Fassaden prangt zudem ein fotorealistisches Porträt der BVB-Vereinslegende.
Projekt ermöglicht Teilhabe
Auf dem Gummiboden des Soccer-Courts hat sich durch den Regen ein wässriger Film gebildet. Zwei Männer betreten den Platz. Einer von ihnen ist Mirza Demirović, Projektkoordinator der Nordstadtliga. Der andere ist Okan Özbek, der als Streetworker regelmäßig die Übungseinheiten betreut. „Eigentlich wäre heute Training gewesen, aber der Boden auf dem Soccer-Court ist dafür viel zu rutschig. Das können wir nicht verantworten“, sagt Demirović. Das Training fällt ins Wasser. Schließlich soll sich niemand verletzen.
Demirović wischt sich die Regentropfen von der Stirn und holt sein Handy aus der Hosentasche. Er zeigt Videos vom Training, an dem im Schnitt 15 bis 20 Kinder und Jugendliche in unterschiedlichen Altersgruppen teilnehmen. Man sieht, wie die Kinder um den Ball kämpfen, sich die Kugel hin und her passen, Tore erzielen und sich abklatschen. Teamwork eben. Und genau darum geht es in der Nordstadtliga, wie Demirović betont: „Wir vermitteln neben dem Spaß an der Bewegung wichtige Werte wie Respekt, Pünktlichkeit und Teamgeist. Wir zeigen den Kindern und Jugendlichen auch, wie sie Konflikte untereinander lösen.
Sie erfahren hier immer Anerkennung, egal in welcher Lebenslage sie sind, welchen sozialen Status und welchen kulturellen Background sie haben.“ Özbek nickt: „Wir wollen ihnen Zugang zur und Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen und gleichzeitig Identifikation mit der Nordstadt stiften, die besser ist als ihr Ruf.“ Im Verein sei das nicht immer möglich. „Oft scheitert es schon an den Mitgliedsbeiträgen, die die Familien für ihre Kinder nicht aufbringen können“, sagen sie.
Durch eines der Gittertore innerhalb der Gebäudefassaden kommt ein Mädchen in den Innenhof. Sie hat einen Ball unter ihren Arm geklemmt. „Hallo, Malaika“, begrüßt Özbek die Schülerin, die regelmäßig am Training der Nordstadtliga teilnimmt. Das Wetter scheint Malaika Sala nichts auszumachen. Sie geht auf den Court, jongliert mit ihren Füßen geschickt den Ball, drischt das Leder immer wieder Richtung Tor. „Ich spiele sehr gern in der Nordstadtliga. Mir gefällt daran, dass ich einfach mitmachen kann und dass Jungs und Mädchen zusammenspielen dürfen. Das ist im Verein oft nicht möglich“, sagt sie. Für die Betreuer findet sie ebenfalls lobende Worte: „Sie sind sehr nett und machen das super.“ Neben gemischten Mannschaften gibt es seit August 2022 auch die „Nordstadtliga Queens“, an der ausschließlich Mädchen teilnehmen.
Ganzjährig wird gekickt
Um dem Regen zu entkommen, geht es rüber in den VIVAWEST-Nachbarschaftstreff, der direkt am Soccer-Court liegt. Die Kicker und Betreuer dürfen dort Räume von VIVAWEST nutzen und Trainingsequipment lagern. Die Nordstadtliga sei eine über das gesamte Jahr laufende Straßenfußballliga, erklärt Demirović. Es gibt eine Sommer- und eine Winterliga, Ferienangebote und Hallenturniere. Auch ein Respekt-Pokal wird verliehen. „Der ist für diejenigen, die sich stets an unsere Werte halten und diese im Alltag vorleben“, sagt Demirović. Positive Anreize sind ein wichtiger Teil der sozialen Arbeit. Dazu gehören auch Belohnungen wie Freikarten für Spiele des BVB oder die Teilnahme am Training der BVB-Jugendakademie.
Projekt wächst stetig
Neben dem Soccer-Court kann der Nachwuchs im etwa zwei Kilometer entfernten „Stadion“ in der Burgholzstraße trainieren und Turniere austragen. Der ehemalige Asche-Bolzplatz wurde jüngst saniert und von der Stadt durch einen Kunstrasenplatz ersetzt. Das macht nicht nur das Kicken angenehmer und wetterunabhängiger, sondern ist auch eine große Wertschätzung.
„Was sich hier in den letzten Jahren entwickelt hat, ist der Wahnsinn. Wir sind unheimlich stolz, dass unser Projekt wächst und inzwischen zu einer richtigen Marke geworden ist“, sagt Demirović. Ein eigenes Logo und gebrandete T-Shirts und Pullis, mit denen BVB-Trainer Edin Terzić in öffentlichen Pressekonferenzen auftritt, sind nur einige von vielen Zeugnissen der guten Arbeit.
Auch dass die Betreuer demnächst in Räumen von VIVAWEST ein eigenes Büro beziehen dürfen, macht Demirović stolz: „Wir haben sogar die Hausnummer null neun am Borsigplatz.“ Ein Verweis auf die Gründung des BVB im Jahr 1909. „VIVAWEST ist für uns eine wichtige Stütze. Ihre Hilfe äußert sich nicht nur finanziell, sondern auch bei der Logistik oder beispielsweise beim Vernetzen mit wichtigen Partnern wie dem BVB. Dafür kann ich nur Danke sagen“, so Mirza Demirović. Der Projektleiter, der wie Okan Özbek selbst einen Migrationshintergrund hat, brennt für die Kinder und Jugendlichen, die im Leben nicht immer die besten Startbedingungen haben. „Wir sind Überzeugungstäter“, sagt er.
Die Arbeit ist umfangreich
Özbek, der nun seit rund anderthalb Jahren dabei ist, hat sich direkt von Demirović’ Motivation anstecken lassen. „Mirza hat eine Vision und reißt die Menschen mit. Es macht Spaß, ein Teil davon zu sein und den Nachwuchs zu fördern und zu formen“, sagt er. Dabei geht die soziale Arbeit weit über das Fußballtraining hinaus. Die beiden stehen mit den örtlichen Schulen in Kontakt, tauschen sich mit Lehrern darüber aus, wie die Förderung des Nach-wuchses am besten gelingen kann. Auch bei Problemen zu Hause oder in der Schule sind sie für die Kinder und Jugendlichen ein stetiger Ansprechpartner. Man merkt: Das wahre Herz des Fußballs schlägt dort, wo ambitionierte Menschen wie Mirza Demirović und Okan Özbek Kinder und Jugendliche mithilfe des Ballsports formen, ihnen wichtige Werte vermitteln und beweisen, dass sie ernst genommen und wertgeschätzt werden. Die Nordstadtliga leistet hier wertvolle Arbeit. Das macht das Projekt so einzigartig und die Nord-stadt zu einem ganz besonderen Ort.