Wir im Quartier

Eine lange Freundschaft in der Geist

Erika Goddinger lebt seit den 50er-Jahren im Geistviertel in Lünen – wie auch ihre beste Freundin Ingrid Snehotta. Beide sind in dem Quartier seit vielen Jahrzehnten heimisch und fühlen sich dort immer noch wohl.

Erika Goddinger sitzt auf einem Rollator vor ihrem Tisch im Esszimmer in der Robert-Koch-Straße in Lünen. Sie schaut aus dem Fenster. Regentropfen trommeln gegen die Scheibe – schon den ganzen Tag über. Links von der 85-Jährigen lehnt ihre beste Freundin Ingrid Snehotta im Türrahmen, dort, wo das Esszimmer zum Wohnzimmer führt. Sie kommt häufig zu Besuch. Schließlich haben beide fast ihr ganzes Leben miteinander verbracht. „Seit Jahrzehnten wohnen wir in der Geist“, sagt Goddinger. So bezeichnen die Anwohner das Geistviertel, ein Quartier im westlichen Teil von Lünen.

„Früher“, erinnert sich die Rentnerin, „haben wir noch zusammen in der Virchowstraße in einem Haus gewohnt.“ Die 90-Jährige Ingrid Snehotta nickt: „Das war eine schöne Zeit mit vielen tollen Erinnerungen.“ Sie gehörten zu den ersten Mietern, die Mitte der 50er- Jahre die Wohnungen bezogen.

Die beiden Frauen berichten von einer guten Wohngemeinschaft und den gemeinsamen Erlebnissen im Garten mit Goddingers drei Kindern, die längst ausgezogen sind und ihre eigenen Familien gegründet haben. Viele ehemalige Nachbarn sind inzwischen verstorben. Auch Goddingers Mann, der früher auf dem nahe gelegenen Lippewerk gearbeitet hat, lebt nicht mehr.

Umzug nach 50 Jahren

Nach 50 Jahren mussten die beiden Rentnerinnen 2017 im Rahmen der Quartiersmodernisierung umziehen. Goddinger verschlug es in die Robert-Koch-Straße, Snehotta konnte in der Virchowstraße auf der gegenüberliegenden Seite bleiben. Ihr altes Haus sowie weitere Gebäude wurden abgerissen, weil sich eine energetische Modernisierung für sie nicht gelohnt hätte. Auch die Grundrisse waren nicht mehr zeitgemäß. Jüngst errichtete VIVAWEST dort 27 moderne Einfamilienhäuser sowie 54 Mietwohnungen in drei Bauabschnitten. Im letzten Bauabschnitt entstanden 18 Einfamilienhäuser, die Ende dieses Jahres vermietet werden.

„Ich durfte mich bei der Umsiedlung zwischen mehreren modernen Wohnungen entscheiden. Mit dem Umzug hatte ich fast nichts zu tun. Ruck, zuck waren meine Möbel aus der alten Wohnung geräumt und in der neuen wieder aufgestellt. Das hat VIVAWEST gut organisiert.“ Auch die Küche wurde in diesem Zuge neu aufgebaut und das Badezimmer renoviert. Gern verbringt sie nun Zeit auf ihrem großzügigen Balkon. Nur nicht heute: Noch immer prasselt der Regen vom Himmel. Ein Spaziergang, der eigentlich durch die Straßen des Quartiers angedacht war, kommt für die Rentnerin am heutigen Tag auch nicht mehr infrage. Das hat nicht nur mit dem Wetter zu tun. „Ich bin neulich gestürzt, die Hüfte schmerzt ein bisschen. Aber man will ja nicht jammern“, sagt Goddinger. 

Eine gute Gemeinschaft

Die Rentnerin steht von ihrem Rollator auf, geht rüber zur Küche und macht das Fenster auf. Aus dem Obergeschoss eröffnet sich ein Blick auf einen großen Garten, der von Sträuchern umgeben ist. Ein Mieter hat unten die Terrasse hergerichtet. „Dort sitze ich oft mit meinen neuen Nachbarn und unterhalte mich mit ihnen“, sagt sie. Insgesamt gibt es vier Wohneinheiten in dem Gebäude. „Alle sind sehr nett“, so Goddinger.

Eine gute Gemeinschaft war ihr auch schon in jungen Jahren wichtig. Sie war lange Zeit mit ihrer Freundin Ingrid Snehotta aktiv in der örtlichen Kirchengemeinde. In den angrenzenden Parks habe man sich oft zum Picknick getroffen. „Viel hat sich eigentlich für uns im Quartier in all den Jahrzehnten gar nicht verändert. Schade ist nur, dass es viele kleine Läden nicht mehr gibt“, sagt Goddinger. Aber mit dem Bus sei man schnell in der Innenstadt. Ihre Einkäufe erledigt sie teilweise weiterhin selbst, eine Putzhilfe kommt alle 14 Tage vorbei.

Ein Friseurladen um die Ecke hat den Wandel der Zeit überlebt. Goddinger und Snehotta besuchen ihn regelmäßig. Schräg gegenüber ist das Herz des Viertels. Dort befinden sich das Jugendzentrum „Stadt-Insel“, Kitas und die Kirchengemeinde.

„Wir sind zufrieden und fühlen uns wohl im Quartier. Und wir sind dankbar, dass wir hier immer noch Zeit miteinander verbringen können“, sagt Erika Goddinger. Ingrid Snehotta schließt die Augen und nickt ihr wortlos zu. Man spürt: Beide verstehen sich inzwischen blind – aufgrund ihrer langen Freundschaft in der Geist.